Oh Sunny
Eine neue Veranstaltungsreihe von ZEBRAS Collective im Kulturzentrum Merlin, das literarische “Klangwelten” aufmacht.
Autor*innen mit Migrationsbiografie lesen nicht nur aus ihren eigenen Werken, sondern präsentieren auch ihr Lieblingslied, dessen Lyrics nicht auf Deutsch oder Englisch sind. Diese werden übersetzt und wie “Untertitel” projiziert, während das Lied gemeinsam angehört wird. Anschließend erfahren wir die persönliche Geschichte der Autor*innen dazu.
2016 ging der Nobelpreis für Literatur an Bob Dylan. Damit wurde es offiziell: Songtexte sind literarische Werke. Zwar getragen von Musik, aber laut der Nobelpreis-Akademie eine “poetische Ausdrucksform”. Doch gerade die englische Sprache scheint vor allem in der Popmusik das Alphabet zu sein, in dem getextet und gesungen werden muss, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
Die Lesung und das Listening werden mit einem moderierten Talk begleitet. Bei unserem ersten »Another Alphabet Playlist« Abend werden wir TA-SOM HELENA YUN als Gästin haben, die uns ihren bewegenden Coming-of-Age-Roman »OH SUNNY« und ihren persönlichen Lieblingssong präsentieren wird.
»Sunny Oh, 26 Jahre alt, hat das Jurastudium abgeschlossen, einen erfolgreichen Arzt als Freund – und das dringende Bedürfnis, einfach nur zu schlafen. Geboren in Deutschland als Kind koreanischer Eltern, fühlt sie sich weder als Deutsche noch als Koreanerin. Ihr Leben ist ein ständiger Balanceakt, um es allen recht zu machen: das Studium, die perfekte Beziehung – alles Kompromisse, um den Erwartungen ihrer Eltern und ihres Umfelds zu entsprechen. Nach einem heftigen Streit beim traditionellen Chussokfest hat sie genug. Sie bricht mit ihrer Familie und flüchtet – ausgerechnet in die Turnhalle eines koreanischen Kulturvereins. Als ”Praktikantin” quartiert sich Sunny in den Geräteraum ein und wird unvermittelt mit der Kultur konfrontiert, der sie gerade entkommen wollte. Doch genau hier, zwischen Turngeräten und Traditionen, muss Sunny sich ihrer Vergangenheit und der Frage nach der Selbstbestimmung stellen.«
Ta-Som Helena Yun, geboren 1985 in Berlin, zog mit neun Jahren mit ihrer Familie nach Südkorea. Dort war sie Stipendiatin der Staatlichen Schule für Traditionelle Koreanische Musik und lernte u. a. koreanischen Pansori-Gesang. Mit siebzehn Jahren kehrte sie allein nach Deutschland zurück. Während des Jurastudiums war sie Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung. 2022 veröffentlichte sie in der Zeitschrift „BELLA triste“ eine Kurzerzählung. Mit ihrem Romanprojekt war Ta-Som Helena Yun Stipendiatin der Prosawerkstatt 2022 am Literarischen Colloquium Berlin. Sie ist Richterin am Amtsgericht in Berlin.
Vor und nach der Veranstaltung werden Mayha Suaysom und Duc-Thi Bui vom ZEBRAS Collective für euch weitere Songs mit Lyrics auflegen, die nicht auf Englisch oder Deutsch sind, während alle Anwesenden dazu eingeladen sind, mit einem oder mehreren Songs die »Another Alphabet Playlist« mitzugestalten. Dafür bedienen wir uns an den 100 Millionen Songs eines Music-Streaming-Dienstes, von denen der automatische Algorithmus uns merkwürdigerweise immer nur die gleichen Songs vorschlägt. – »Let’s merge our music bubbles! It’s time to beat the computer-generated algorithm! Together as humans!«
Moderation: Petra Xayaphoum
Eine Veranstaltung von ZEBRAS Collective und Kulturzentrum Merlin, gefördert von der Stadt Stuttgart.
Das Zebras-Collective:
»Du bist nur ein Zebra, wenn du schwarze und weiße Streifen hast!« – Ist das so? Als Menschen mit Migrationsbiografie fühlen wir uns manchmal als “weiße Zebras”. Als Wesen ohne spezifische Erscheinung, weil wir unsere individuellen Züge verstecken müssen, um der Norm zu entsprechen. – Nicht aufzufallen heißt oft auch, einfach stumm zu bleiben. Gerade wenn Deutsch nicht die Erstsprache ist. Dann ist selbst die Kommunikation zwischen Familiengenerationen von Missverständnissen und Sprachlosigkeit geprägt. Zum Beispiel können Eltern ihren Kindern ihre Erwartungen nicht formulieren, und umgekehrt.
Das ZEBRAS Collective möchte interkulturelle Brücken bauen und sich dabei an Sprachen bedienen, die nicht nur einem einzigen Alphabet entsprechen und leicht zugänglich sind. Wir sind der Überzeugung, dass alle künstlerischen Sparten als Ziel die zwischenmenschliche Kommunikation haben. Dazu gehören z.B. das Zeichnen von Illustrationen, das filmische Erzählen und noch vieles mehr. Im Grunde alles, wenn wir uns als eine gerechte und offene Gesellschaft betrachten. Gerade für Menschen, für die Deutsch nicht die Erstsprache ist, kann Musik in ihrer universellen Wirkung so etwas wie eine “barrierefreie Maßnahme” sein.
Aufgrund unserer eigenen Migrationsgeschichte wollen wir mit unserer Arbeit speziell südostasiatisch gelesene Menschen ansprechen, da in Stuttgart ein Kulturangebot für diese Community noch nicht ausreichend existiert und diese dadurch oft unsichtbar bleibt. Aber das ZEBRAS Collective versteht sich auch als ein inklusiver Raum, der sich nach allen Seiten öffnet. Denn wir verstehen Gesellschaft als ein Miteinander… von vielfältigen Zebras.
Künstlerische Leitung: Mayha Suaysom & Duc-Thi Bui
Projektmanagement: Silinee Damsa-Ard
Foto © Stephanie Wacker